Kontrast





Markus 9,2-10. 2 Nach sechs Tagen nimmt Jeschua den Kefa und den Jaakov und den Jochanan mit und führt sie auf einen hohen Berg - abseits, allein. Da ward er verwandelt vor ihnen 3 und seine Obergewänder wurden glänzend, sehr weiß, wie kein Walker auf Erden so zu weißen vermag. 4 Und sehen ließ sich vor ihnen Elijahu und Mosche, und sie redeten mit Jeschua. 5 Da hob Kefa an und sagt zu Jeschua: Rabbi, gut ist es, daß wir hier sind! So laßt uns drei Zelte machen: dir eins und Mosche eins und Elijahu eins. 6 Er wußte ja nicht, was er sagen sollte, denn Angst war in sie gefahren. 7 Und es geschah: eine Wolke schattend über sie. Und es geschah: eine Stimme aus der Wolke: Das ist mein Sohn, der Geliebte. Hört auf ihn! 8 Und plötzlich, wie sie um sich blickten, sahen sie keinen mehr bei sich - nur noch Jeschua allein. 9 Als sie vom Berg niederstiegen, warnte er sie, keinem dürften sie erzählen, was sie gesehen - es sei denn, wann der Menschensohn von den Toten auferstanden sei. 10 Und sie hielten das Wort fest, miteinander streitend, was das Auferstehen von den Toten bedeute.


Stationen: Der Ort / Die Stimme / Der Kontrast / Das Licht / Die Augen / Der Schatten

(1) Der Ort. Urlauber oder Pilger im Heiligen Land sollten sich den Berg Tabor nicht entgehen lassen. Wer körperlich fit genug ist, verzichtet am besten auf die Anfahrt mit dem Auto oder Bus und nimmt den Fußmarsch auf den Gipfel der Landmarke. Belohnt wird er mit einem einmaligen Blick über Galiläa, den Landstrich der Herkunft Jesu. Hier oben, auf dem Berg Tabor, hat die Tradition den Ort der Verklärung Jesu angenommen. Ein großer Friede scheint auf diesem Ort zu liegen. Hier konfrontiert Jesus seine Jünger mit seiner kommenden Hinrichtung.

(2) Die Stimme. In der Erzählung der Evangelien schließt sich am Berg Tabor ein Kreis. Zweimal wird Gottes Stimme laut über Jesus. Einmal am Jordan bei der Taufe durch Johannes: "Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden." Mit diesem Wort sagt Gott Jesus, wer er ist. Mit diesem Wort entläßt Gott Jesus auf seinen Weg. Es ist der Weg, die frohe Botschaft von der nahen Herrschaft Gottes zu verkünden. Und ein zweites Mal Gottes Stimme am Berg Tabor: "Dies ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören." Mit diesem Wort zeigt Gott den Jüngern, wer Jesus ist. Gott läßt sie erkennen, wie voll Jesus ist von Gottes Licht. Am Berg Tabor erfahren die Jünger, was in der Schöpfung von Anfang an verheißen ist: ein Mensch als Ebenbild Gottes. Auch die Jünger werden damit auf einen Weg entlassen: den kommenden Weg mit Jesus. Wohin wird er sie führen?

(3) Der Kontrast. Nach der Erzählung der Evangelien beginnt am Berg Tabor der Kreuzweg Jesu. Der Weg nach Jerusalem, hinein in den Konflikt mit der religiösen und politischen Obrigkeit. Bis zum Martyrium durch den Foltertod am Kreuz. Der Weg mit Jesus, auf den Gott die Jünger entläßt: Sie werden es nicht ertragen, ihn bis zum Ende mitzugehen. Was für ein Kontrast: Hier das Licht, das Jesus am Berg Tabor umgibt, und dort die Nacht, in die der Verurteilte und Gefolterte auf dem Hügel von Golgota gerät. Was für ein Kontrast: Hier Mose und Elija, die Jesus zur Seite erscheinen und mit ihnen die ganze Verheißung des Gottesvolkes. Dort zwei Verbrecher, gekreuzigt zu seiner Seite, und mit ihnen die ganze Ablehnung und Einsamkeit am Kreuz. Eingefangen in einem einzigen Bild findet sich dieser Kontrast in einem Werk des kongolesischen Künstlers Francis Mampuya-Kitah (Quelle: missio Aachen). Es ist das Bild eines Gekreuzigten; er trägt afrikanische Züge.

Francis Mampuya-Kitah, La Suprematie  

(4) Das Licht. Die Darstellung verschweigt nicht das Leiden der Folter: Deutlich erkennbar sind die Nägel und die Stacheln der Dornenkrone. Der Körper wirkt ausgemergelt, die Augen sind geschlossen. Und zugleich läßt sich das Bild als ein Bild der Verklärung verstehen: Der übergroße Kopf des Gekreuzigten scheint die Sonne am Himmel der Landschaft zu sein. Von ihm gehen das Licht und die hellen Farben aus, die das Bild erfüllen. Der Körper hängt nicht eigentlich am Kreuz, sondern er scheint mit dem Balken verwachsen und aufrecht zu stehen. Dieser Gekreuzigte von Francis Mampuya-Kitah ist mehr als ein Opfer: Er hat seine Würde nicht verloren. Eine große Kraft geht von ihm aus. "Die Überlegenheit" (La Suprematie) nennt der afrikanische Künstler sein Bild. Es ist ein österliches Bild, denn darin besteht ja wohl die Erfahrung von Ostern: Daß die Jünger nicht länger davonlaufen vor dem Kontrast zwischen Tabor und Golgota. An Ostern öffnet Gott ihnen die Augen, daß sie in den entstellten Zügen des Gekreuzigten seinen geliebten Sohn wiedererkennen. Das ist nicht leicht, dafür muß es Ostern werden.

(5) Die Augen. Es muß Ostern werden, um den Versuch zu durchschauen, Jesus durch Folter und Hinrichtung unkenntlich zu machen. Die Kirchen in Afrika, Asien oder Lateinamerika stecken oft genug mitten drin in der Auseinandersetzung, die Versuche zu durchschauen, Menschen durch Gewalt unkenntlich zu machen. Wer einmal die Liste der Projekte durchgeht, die das Missionswerk "missio" unterstützt, erhält ein eindrückliches Bild.
Ein Beispiel: In Afrika macht staatliche Gewalt Menschen zu Fremden im eigenen Land und zu Flüchtlingen; ethnische Konflikte werden geschürt, bis sie sich gewaltsam entladen. In Tansania unterhält die Kirche eine Schule für Kinder in einem Camp für Flüchtlinge aus Burundi. Der erste Schritt in diesem und ähnlichen Lagern ist zunächst, die Wunden des Erlebten heilen zu lassen. Gewalt kann Menschen so traumatisieren, daß das Bild des Menschen in ihnen selbst zerbrochen ist. Die Aufgabe des Evangeliums für die Kirche dort heißt: Es muß Ostern werden.
Ein anderes Beispiel: In Asien treibt wirtschaftliche Gewalt Menschen, oft bereits Kinder, in die Prostitution. Gerade arme Gegenden dieser Erde sind für westliche Besucher oft Urlaubsparadiese. Aufgrund der harten Währung, die sie aus ihren Herkunftsländern mitbringen, floriert das Geschäft mit käuflicher Sexualität. Im indischen Goa kämpfen Ordensschwestern für die Prostituierten und gegen die Prostitution. Sie können ihre Situation nicht von heute auf morgen ändern. Aber sie können versuchen das Bild des Menschen zu heilen, das in diesen Frauen zerbrochen ist. Die Aufgabe der Kirche dort heißt: Es muß Ostern werden.
Menschen in den Kirchen in Afrika, Asien und Lateinamerika wissen: Es muss Ostern werden, auch heute. Auch heute muss Gott Augen öffnen, damit in den entstellten Zügen von Menschen erkennbar wird, wer sie in Wahrheit sind: Gottes Ebenbilder, umgeben von seinem Licht.

(6) Der Schatten. Daran erinnert uns das Fest der Verklärung Jesu. Es kann uns auf einen Weg, eine Spur setzen. Daß wir uns auf die Suche machen, wo hier bei uns Ostern werden muß. Wo bei uns Menschen entstellt und unkenntlich gemacht werden. Und wo es Aufgabe von uns Christen ist, das Licht zu entdecken, das Gott in jeden Menschen gelegt hat, und von diesem Licht Zeugnis zu geben, gelegen oder ungelegen. Wie können wir auf einen solchen Weg kommen? Der erste Schritt wäre wohl, daß wir in unserem eigenen Leben den Kontrast-Bildern nicht aus dem Wege gehen. Hier unser Wunsch nach Anerkennung, dort die Erfahrung der Ablehnung. Hier unser Wunsch nach Stärke, dort die Erfahrung des Scheiterns und der Schwäche. Hier unser Wunsch, ein guter Mensch zu sein, dort die Erfahrung der Schuld und des Versagens. Wer vor solchen Kontrasten davonläuft, bleibt zerrissen und gelähmt von der Angst um das eigene Bild. Das Evangelium weiß von einem anderen Weg: Es verkündet, daß unser Leben nicht endgültig entstellt und unkenntlich gemacht werden kann. Nicht einmal durch uns selbst. Von dem evangelischen Pfarrer und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer ist ein Gedicht hinterlassen, das er im Gefängnis von Hitlers Gestapo geschrieben hat. Es trägt den Titel: "Wer bin ich?". Der Schlußvers lautet: "Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!"

Der Abschnitt aus dem Markusevangelium, Kapitel 9, Verse 2-10, ist nach der Leseordnung der katholischen Kirche die Evangelienlesung für das Fest der Verklärung Christi im Lesejahr B.

Diese Predigt ist zuerst erschienen in der Reihe "Predigt plus" des kirchlichen Missionswerkes "missio Aachen". Wenn Sie Interesse an den monatlich erscheinenden Predigten dieser Reihe haben, mailen Sie an missio.



Druckfassung





© Ulrich Sander

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