In Gottes Namen?
1. Täglich besuchen zahlreiche Touristen das Augustinerkloster in Erfurt und besichtigen auch die Klosterkirche. Dort nutzen manche das Angebot, Bitten und Fürbitten aufzuschreiben und an eine Pinwand zu heften. Die Anliegen der Besucher werden als Fürbitten während des Mittagsgebetes vorgelesen und so von den versammelten Betern mitgetragen. Frieden und Besonnenheit, Verzicht auf Vergeltung und Angst vor einem neuen Weltkrieg lauten die Stichworte auffallend vieler Gebete, die belegen, wie sehr Menschen sich vom Weltgeschehen dieser Tage bedrückt fühlen. Vergangenen Sonntagabend haben die Besonnenheit und vor allem der Frieden eine weitere Niederlage erlitten. Kurz nach Beginn des ersten Militärschlages gegen Afghanistan sagte der amerikanische Präsident unter anderem:
Wie selbstverständlich beendete George Bush seine Rede mit dem Satz:
Nur Stunden später war vom anderen Ende der Welt der Gegenredner zu hören und zu sehen.
Auch er legitimierte seine Befehle zur Gewalt und gab sich des Beistandes Allahs gewiß.
2. Ich wüßte gern, womit die verfeindeten Redner und ihre Anhänger den Versuch begründen, Gott auf ihre jeweilige Seite zu ziehen und zum Verbündeten gegen den Feind zu erklären. Was verleitet sie zu der Annahme, der Höchste, sei er Gott oder Allah genannt, gebe verbrecherischem und Menschen verachtendem Tun, von wem auch immer es zu verantworten sei, seine Zustimmung? Unser Predigttext lehrt diesbezüglich doch etwas anderes.
Ob der Koran zuläßt, den Namen Allahs mit allen menschlichen Taten und Untaten in Verbindung zu bringen, ohne ihn auf diese Weise zu entehren, weiß ich nicht. Daß der Koran Mord und Totschlag gutheißen könnte, wage ich aufgrund des Zitates, mit dem viele Muslime das Verbrechen vom 11. September verurteilten, zu bezweifeln. Oft wurde aus der 5. Sure jener Vers wiedergegeben, in dem es gegen Ende heißt:
Das klingt zwar nach Auge um Auge, Zahn um Zahn und ist ein ganzes Stück entfernt von
Jesu Wort und Praxis, sogar die Feinde zu lieben. Doch das war im alten Israel ja nicht
anders. "Du sollst nicht töten" galt wohl weder für die Blutrache noch für die gerichtlich
verhängte Todesstrafe noch für das Töten im Krieg. Trotzdem: Mörderische Verbrechen, wie
sie an unschuldigen Menschen in New York und Washington verübt wurden, sind auch nach
dem Koran verwerflich. Wie kann dann Allahs auf der Seite der Mördern stehen und auf
jener, die die Mord befohlen haben?
3. Hat sich Gott also mit Amerika und seinem Präsidenten verbunden? Martin Buber übersetzt das zweite der Zehn Gebote Gottes wie folgt:
Ist nicht der Gipfel aller menschlichen Überheblichkeit und des Wahnhaften erreicht, wenn
ein Mensch sich anmaßt, alle Völker der Erde in eine folgenschwere Entscheidung zwingen
zu wollen? Entweder mit Amerika für Gerechtigkeit zu sein - so wie Amerikaner sie
verstehen - oder für den Terrorismus - den je und je zu definieren sich die Vereinigten Staaten
vorbehalten. Wurde nicht der Name Gottes auf das Wahnhaft getragen, das heißt mißbraucht,
als auf das verabscheuungswürdige Verbrechen vom 11. September umgehend reagiert wurde
mit dem öffentlichen Androhen eines Kreuzzuges. Es war schon immer wahnwitzig, im
Zeichen des Kreuzes Krieg zu führen. Besser wäre, die Worte zu bedenken, die das zweite
Gebot beschließen: "Der Herr straft jeden, der seinen Namen mißbraucht." "Du sollst nicht
töten", lautet das fünfte Gebot. Mir scheint, es wird zutiefst mißachtet auch durch den, der
Befehl erteilt hat, Afghanistan militärisch anzugreifen, und durch alle, die aus sicherer
Entfernung Raketen auf das Land abfeuern und dabei auch unschuldige Menschen treffen? Daß Gott sich jenen
zugesellt, die solches verantworten, das will und werde ich mir nicht einreden lassen.
4. Und wo ist Gott in diesem Geschehen? Ich vermute ihn nahe bei denen, die dem ganzen Elend hilflos ausgeliefert sind. Ich vermute ihn nahe den Betern, die ihm ihre Angst und Sorge benennen, die sein Erbarmen erbitten für alle unter Gewalt Leidenden, in Amerika, in Afghanistan, weltweit, die inständig Gottes Hilfe erflehen, damit Verständigung und Friede möglich werde - auch zwischen den Religionen. Ich vermute ihn nahe den Friedenstiftern, nahe denen, die Not lindern helfen, die nach Gottes Gerechtigkeit fragen, sich von seinem Wort und Gebot zum solidarischen Leben bewegen lassen. Und ich vermute ihn nahe all denen, die Gott danken, da sie sich von ihm zum Leben befreit wissen.
Wer das Geschenk dieser Befreiung annimmt, wird den Namen Gottes nicht mißbrauchen,
wird nicht töten, wird nicht Falsches sagen über einen anderen Menschen, wird nicht
begehren, was einem anderen Menschen gehört.
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