1. In der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts gab es einigen Streit unter den europäischen Theologen. Anders als in dem vorausgegangenen Jahrhundert ging es nicht mehr nur darum, in den Disputen die Lehrmeinungen der Kirche herauszustellen und mit guten Argumenten zu sichern. Jetzt wurden diese Lehrmeinungen vielmehr auf mancherlei Art hinterfragt, ohne sie umgehend wieder zu rechtfertigen. Sie sollten mehr am Evangelium, an der Lehre Jesu gemessen werden. Kein Thema wurde ausgelassen: Was lehrt die Bibel über die Taufe und was die Kirche? Bezüglich der Taufe ließ sich noch die größte Treue der Kirche zum Evangelium nachweisen.
In welchem Verhältnis steht die kirchliche Lehre von der Buße zum Umkehrruf der Heiligen Schrift? Martin Luther läßt kein gutes Haar an der kirchlichen Bußpraxis, ja sie ist sogar ein wichtiger Grund für den Wittenberger Thesenanschlag.
Eine weitere Frage lautet schließlich: Was lehrt die Bibel über das Abendmahl und seine
Heilsbedeutung für die Menschen, und was geschieht, wenn die Kirche Abendmahl feiert?
Eine wichtige Textgrundlage für eine Antwort findet sich im ersten Brief, den Paulus an die
Gemeinde in Korinth sandte. Darin schreibt der Apostel über das Abendmahl:
2. Jetzt wird die Diskussion wirklich schwierig. Wie ist der Text zu verstehen? Ist Christus im Abendmahl der Gemeinde gegenwärtig? Ist das ausgeteilte Brot der Leib Christi und der gereichte Wein sein Blut? Oder ist jede Abendmahlsfeier seit jenem letzten Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern eine reine Gedächtnisveranstaltung? Die Meinungen gehen auseinander, und nun stehen nicht mehr Luther und Melanchton mit ihrem Abendmahlsverständnis gegen die Theologen des Papstes, jetzt kommt es auch zu Streitigkeiten mit den anderen Anhängern der Erneuerungsbewegung in der Kirche.
Die katholische Lehre lautet: Die Substanz von Brot und Wein verwandelt sich, und diese
Wandlung geschieht beim Aussprechen der Einsetzungsworte durch den Priester. Er vertritt
bei der Feier des Abendmahls Jesus, und bringt das unblutige Opfer dar. Luther wendet sich
gegen diese mißverständliche Gleichsetzung von geschichtlichem Kreuzesopfer Jesu und
wiederholter Abendmahlsfeier. Sein Einwand läßt sich mit dem Hebräerbrief begründen. Dort
heißt es im zehnten Kapitel:
Diese biblische Aussage über das einmalige Opfer Christi nehmen die Schweizer
Reformatoren Calvin und Zwingli zum Anlaß, das größte Gewicht auf die Aufforderung zu
legen: Tut dies zu meinem Gedächtnis. So sehen sie im Abendmahl eine reine
Erinnerungsfeier, das heißt beim Abendmahl erinnert sich die Gemeinde daran, daß Jesus vor
langer Zeit einmal für die Sünden der Menschen gelitten hat und gestorben ist. Auch dieses
Abendmahlsverständnis stößt bei Luther auf wachsenden Widerspruch. Luther verteidigt
seine Abendmahlslehre gegenüber Zwingli und den Schwärmern, denn für ihn bedeutet
"Gedächtnis" viel mehr, als ein reines sich Erinnern an historisch Vergangenes.
3. Es muß ein mühsamer und belastender Streit gewesen sein, der Unruhe und Unsicherheit nicht allein in die Gelehrtenstuben, sondern auch in die Gottesdienste gebracht haben wird. Von Martin Luther wird berichtet, daß er eines Tages über das Abendmahlsbrot ausgerufen haben soll: Hoc est corpus Christi - das ist der Leib Christi.
So ist es ja auch in dem für evangelische Christen bedeutsamen Augsburger Bekenntnis von 1530 festgehalten worden. Dort handelt der Artikel 10 vom heiligen Abendmahl: "Vom Abendmahl des Herrn wird gelehrt, daß der wahre Leib und das wahre Blut Christi wirklich unter der Gestalt von Brot und Wein im Abendmahl gegenwärtig sind und dort ausgeteilt und empfangen werden."
Christus ist "realpräsent", das heißt: wirklich gegenwärtig. Im Wort des Evangeliums begegnen die Gläubigen Christus, denn er ist ja selbst das Wort. Und Christus ist real präsent, wirklich gegenwärtig, in Brot und Wein bei der Feier des heiligen Abendmahls. Unbestritten ist für Luther, daß mit Brot und Wein im Abendmahl wirklich etwas geschieht, wenn sie durch die Einsetzungsworte und durch das Gebet der Danksagung eingesegnet werden. Der wahre Leib und das wahre Blut Christi sind wirklich unter der Gestalt von Brot und Wein im Abendmahl gegenwärtig. Das Wort wird Fleisch. Nicht in der Weise, daß Menschen, die zum Abendmahl gehen, Menschen-Fleisch essen und Menschen-Blut trinken. Das Brot bleibt seiner Materie nach Brot, der Wein bleibt seiner Materie nach Wein. Durch das Dankgebet und durch ein besonderes Deutewort: "Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das ist mein Blut, das für euch vergossen wird", wandelt sich aber sozusagen die geistige Struktur von Brot und Wein. Es geht um die wahre Bedeutung, den geistlichen Sinn dieses beim heiligen Mahl besonders genommenen Brotes und Weines - und es bleibt ein geheimnisvolles Geschehen.
Leib und Blut Christi, diese im Sakrament gegenwärtigen Gaben, müssen in engem
Zusammenhang mit Christi Leben, Leiden und Sterben für uns gesehen werden. In einem
Beitrag, den Luther 1519 über das Abendmahl verfaßte, sagt er, daß wir durch die Gaben des
Abendmahls, durch Leib und Blut Christi, in das Werk und den Tod Jesu Christi
hineingezogen werden: Die geschichtlichen Heilstatsachen werden für uns Gegenwart.
Christus, der gelitten hat und gestorben ist, wird im Abendmahl gegenwärtig als der, der für
uns gestorben ist.
4. "Vom Abendmahl des Herrn wird gelehrt, daß der wahre Leib und das wahre Blut Christi
wirklich unter der Gestalt von Brot und Wein im Abendmahl gegenwärtig sind und dort
ausgeteilt und empfangen werden." Christus, der für uns am Kreuz gestorben ist, damit wir
als versöhnte Menschen leben können, den Gott nicht dem Tod überlassen, sondern
auferweckt hat, er ist gegenwärtig im sakramentalen Zeichen. So werden uns die Gaben Brot
und Wein zum Brot des ewigen Lebens und zum Trank des immerwährenden Heils. Was uns
als ein Geheimnis des Glaubens begegnet, das alles Verstehen übersteigt, das bezeugt Gottes
unergründliche Liebe zu uns. Dieser Erweis der Liebe Gottes läßt uns nicht unberührt. Gottes
Liebe bewegt zu Lobpreis, Anbetung und Dank und zu der aufrichtigen Bitte:
Schreiben Sie an post@predigtwerkstatt.de |
© Gundula Kühneweg 2001 |